Angst der Popstars

Über die Arbeitsbedingungen von Pressefotografen bei Konzerten

(Journalist - Das Medienmagazin, Heft 9/1998)Bon Jovi am 29. Juni 1996 im Müngersdorfer Stadion Köln - Foto: gap

In den Fotogräben kursieren Horrorgeschichten. Jeder hat eine Story zu erzählen von Einschränkungen und Behinderungen, Star-Allüren und dubiosen Verträgen, die unterschrieben werden müssen. Die Zeiten, als Popstars sich freuten, wenn die Pressevertreter kamen, sind längst vorbei. Die Angst der Stars vor unautorisiertem Merchandising läßt die Luft für Pressefotografen dünn werden. Der Reglementierungswahn treibt mitunter merkwürdige Blüten.

Neulich in Dortmund: Ein Dutzend Fotografen harrt im stickigen Presseraum des Einsatzes. Eine Stunde ist seit der Vorband vergangen, ehe Janet Jackson die Bühne erklimmt. Fotografiert werden darf bei der zweiten Hälfte des zweiten und beim dritten Lied. „You have to be quick.“

Neulich in Düsseldorf: Ein Dutzend Fotografen steht vor der Bühne und wartet auf Elton John. Zwei Lieder lang darf fotografiert werden. Schade, das lange Intro ohne Gesang zählt als erstes Lied, und die Journalisten werden wieder aus dem Stadionrund geführt.

Neulich in Oberhausen: Ein Dutzend Fotografen läßt sich im engen Fotograben von Fans beschimpfen, denen sie im Blickfeld stehen. Der Vorhang fällt, Modern Talking betritt die Bühne. Zwei Lieder lang darf fotografiert werden, beim dritten Song beginnt die farbenfrohe Lichtshow.

Neulich in Münster: Die Fotografen bauen sich am Mischpult mitten in der Halle auf, die Pressereferentin kontrolliert die Brennweiten. 200 Millimeter, mehr nicht. Bühnentotalen kann man damit fotografieren, von der Kelly Family selbst ist niemand zu erkennen. Da schimpfen die Fotografen, die die Kellys vor wenigen Jahren noch in der Fußgängerzone abgelichtet haben, und denen nun die Arbeit unmöglich gemacht wird.

Einst durfte selbst bei den Dire Straits noch das ganze Konzert durchfotografiert werden. So etwas ist längst Vergangenheit: Heute werden die Arbeitsbedingungen von Pressefotografen in zunehmendem Maße beschnitten. Und das sogar erklärtermaßen: Die Vertreter der Stars machen keinen Hehl daraus, daß die Zeitungsfotografen mehr als passable Bilder für den SW-Druck in der Tageszeitung gar nicht bekommen sollen. Denn immer mehr Fotos, beklagen die Managements, seien auf dem Schwarzmarkt gelandet. Wenn andere Leute mit den Konterfeis der Stars Kasse machen, fühlen sich diese um ihren Anteil betrogen. Die PR-Referentin der Kelly-Family hat noch eine ehrenwertere Erklärung: „Die Kellys wollen nicht, daß den Fans das Geld mit unautorisierten Fotos aus der Tasche gezogen wird.“ Stets gespottet hätten die Medien zudem, als die Kellys noch klein waren, und deshalb sähen die inzwischen zu Popstars herangewachsenen Straßenmusiker heute keinen Grund, den Fotografen entgegenzukommen.

Peter Maffay im Dezember 1996 in der Düsseldorfer Philipshalle - Foto: gapVor Ort treffen die Fotografen in der Regel nur die Mitarbeiter des örtlichen Veranstalters, manchmal des Tournee-Veranstalters. „Wir geben die Anweisungen nur weiter“, erklärt Petra Hennemann vom Veranstaltungsbüro Goik in Dortmund. Denn wer, wann, was, wie lange und warum fotografieren darf, entscheiden die Stars oder deren Managements. Hansi Hoffmann, bei Tourveranstalter Lieberberg für die Pressebetreuung zuständig: „Der Künstler ist Mitbesitzer des Hausrechts, und er kann darauf einwirken, daß Journalisten nicht kostenlos an der Veranstaltung teilnehmen. Der Veranstalter ist nur ein temporärer Partner der Künstler und wird darauf nicht einwirken.“ Einfluß habe er also keinen. Hoffmanns Kollege Michael van Almsick vom Branchengiganten Mama-Concerts sieht das jedoch anders: „Mit unseren Bemühungen haben wir oft Erfolg“ (vgl. Interview).

„Manchmal erfahren wir selbst erst kurz vor der Show, wie es läuft“, erläutert Petra Hennemann aus der Sicht des örtlichen Veranstalters. Das bestätigt Andreas Sucker von der Hamburger Agentur Sucker Connections. „Die Regeln entstehen oft aus einer Laune der Künstler. Chuck Berry hat beim Konzert zusammen mit Little Richard und Jerry Lee Lewis im Juli in Oberhausen erst am Konzerttag gesagt, daß er heute nicht fotografiert werden möchte. Wir haben ihn dann noch einmal gebeten, nicht zuletzt wegen der zahlreichen Medienvertreter, die aus dem In- und Ausland zum Auftakt der Europatournee nach Oberhausen gekommen waren, und dann hat er doch Fotografen zugelassen.“

Viele Fotografen kommen noch nicht einmal dazu, sich über die Arbeitsbedingungen zu ärgern, weil sie von vornherein gar nicht zugelassen wurden. Die Akkreditierungen nimmt in der Regel der örtliche Veranstalter vor. Dabei achten die meisten peinlich genau darauf, daß nur „echte“ Pressefotografen mit einem konkreten Auftrag zugelassen werden. „Oft melden sich Unprofessionelle. Heute kann sich jeder für 69,40 Mark eine Nikon kaufen, die Kamera hochwerfen, und dann kommen da Fotos raus. Deshalb gibt es bei den Akkreditierungen viel Bluff, um kostenlos ins Konzert zu kommen“, schimpft Hoffmann, und auch seine Kollegen wissen, daß viele vermeintlich im Auftrag einer Zeitung arbeitenden Fotografen mit einem einzigen Anruf in der Redaktion als Lügner entlarvt sind.

Angst haben die Künstler und deren Managements vor Fotografen, die die Bilder kommerziell vertreiben. „Die landen dann in irgendwelchen Archiven, und wir wissen nicht, was damit geschieht. Plötzlich gibt es dann unautorisierte Autogrammkarten", erläutert Claudia Kaloff, Beraterin von Herbert Grönemeyer. Probleme mit der Akkreditierung bekommen deshalb Agenturfotografen und auch Freie dann, wenn sie den Veranstaltern nicht bekannt sind und keinen Auftrag nachweisen können. „Für uns genügt dann ein Anruf bei einer Zeitung, mit der wir häufig zusammenarbeiten, und wir haben einen Auftrag“, erläutert der Fotograf einer Hamburger Agentur das übliche Prozedere der seriösen Fotografen.

Ein Ärgernis für die Fotografen sind bei immer mehr Konzerten besonders ausländischer Künstler wie Bon Jovi, Backstreet Boys oder Janet Jackson die Verträge, die unterschrieben werden müssen. Oft nur in englisch vorgelegt, „sind sie nur das Papier wert, auf dem sie stehen“ (Andreas Sucker), aber auch die deutschen Verträge werden gerne „sittenwidig“ genannt, zumindest aber als absolute Einschränkung der Pressefreiheit angesehen. Denn oft untersagen diese Verträge nicht nur den kommerziellen Verkauf der Bilder, was in Deutschland eh durch das Gesetz vereitelt wird, sondern beschränken die Nutzung auf die aktuelle Berichterstattung über das Konzert. Der Fotograf kann also nach der Erstveröffentlichung seine Fotos wegwerfen, eine Zweitverwertung ist verboten. Ein echtes Problem freier Fotografen, die von der Bedienung nur einer Zeitung nicht leben können. Wer die Kellys ablichten will, muß gar seine Urheberrechte vorsorglich an den Kelly-Clan abtreten. Bei Grönemeyer steht weiter im Vertrag, daß Fotos vor jedem weiteren Erscheinen vom Management autorisiert werden müssen. Zudem läßt folgender Satz sauer aufstoßen: „Auf Wunsch werde ich dem Künstler Abzüge sowie reproduktionsfähige Unterlagen (...) gegen Erstattung der Eigenkosten zur Verfügung zu stellen. In diesem Falle erkläre ich hiermit mein Einverständnis, daß das Fotomaterial zum Zwecke der Werbung, der Promotion, des Merchandising und der Covergestaltung (...) unbeschränkt vom Künstler oder von ihm zu bestimmenden Dritten ohne Erhebung eines gesonderten Entgeltes verwendet werden darf.“ Klartext: Herbert schickt fünf Mark, ich schicke ihm ein Foto, und er macht ein CD-Cover draus? Grönemeyers Beraterin Claudia Kaloff beschwichtigt: „Wenn uns Foto sinterssieren, was selten vorkommt, dann kaufen wir die an. Der Fotograf hat ja die Urheberrechte, das sind seine Bilder.“ Zudem sei der Vertrag eine „Arbeitsgrundlage, die verhandelbar ist“. Ungeliebte Passagen könnten also vor der Unterzeichnung - nach Rücksprache - gestrichen oder zumindest geändert werden.

Andreas Sucker erinnert sich an seine Zeit bei einem Tourneeveranstalter, als er unter anderem für Depeche Mode zuständig war: Die Vertragspassage, die die Fotografen dazu verpflichten sollte, die Negative nach Gebrauch samt Rechten an Depeche zu schicken, verärgerte diese so sehr, daß sie geschlossen den Konzerten der Tournee fernblieben, bis der Passus gestrichen war. Trauriger Höhepunkt ist eine Verpflichtung, die schon in ihrer Praktikabilität absurd wirkt: Die Forderung nach einem „Entsorgungsnachweis“.

"Letztendlich ist das auch Werbung"

Ein Interview mit Musik-Manager Michael van Almsick

(Journalist - Das Medienmagazin, Heft 9/1998)

Die Veranstalter der Tourneen sind nur Exekutive: Sie müssen umsetzen, was die Managements der Bands fordern. Oder? Gunnar A. Pier fragte Michael van Almsick. Der Münchener Journalist ist Pressechef von Peter Maffay und ehemaliger Pressechef des Tourneeveranstalters Mama Concerts & Rau (u.a. Michael Jackson, Eros Ramazzotti, Eric Clapton, Tina Turner). Heute steht er dem Branchengiganten als Medienberater zur Seite.Michael van Almsick (links) und Peter Maffay bei der Vorstellung der nächsten "Tabaluga"-Tournee am 3. Dezember 2002 in Dortmund - Foto: gap

Michael van Almsick: Bei schwierigen Managements und bei amerikanischen Supergruppen manchmal überhaupt keinen. Wir bemühen uns aber immer, es beiden Seiten recht zu machen. Wenn die Managements zu restriktiv sind und die Fotografenzahl zu sehr begrenzen, versuchen wir oft, mehr Fotopässe zu bekommen. Dann kann zum Beispiel in zwei Durchgängen fotografiert werden. Die eine Hälfte der Fotografen fotografiert während der ersten beiden Lieder, und eine weitere Gruppe während der nächsten beiden. Mit unseren Bemühungen haben wir oft Erfolg.

van Almsick: Wir sind natürlich stolz auf die Bands, deren Tourneen wir veranstalten, und wir finden es toll, wenn die Bilder Verbreitung finden. Letztendlich ist das natürlich auch Werbung.

van Almsick: In der Regel ist das die Aufgabe der Örtlichen Veranstalter, denn sie kennen ihre Medienpartner meistens am besten. Manche Managements verlangen aber auch, daß ihnen die Liste der Fotografen vorgelegt wird. Und dann fragen die schon einmal nach, um wen es sich handelt. Im Zweifelsfall wird auch noch einmal bei den Fotografen oder der Redaktion nachgefragt.

van Almsick: Bei manchen Konzerten bekommen wir über 100 Akkreditierungswünsche, meist ist aber nur Platz für höchstens 30 Leute, sonst würden die sich auch selbst im Wege stehen. Vorrang haben dann Zeitungen, die eng mit uns zusammenarbeiten, Zeitungen, die das Konzert präsentieren, die Presse vor Ort und die Agenturen. Danach geht es nach Bedeutung. Aber wir versuchen auch, kleinere Organe zu berücksichtigen und dabei so gerecht wie möglich zu sein. Daß das nicht immer zu aller Zufriedenheit klappt, ist klar.

van Almsick: Nein. Aber wenn ein Fotograf sich grob danebenbenimmt, zum Beispiel einfach nicht aus dem Graben geht, bis wir ihn mit Ordnern dazu zwingen müssen, dann kriegt er eine Verwarnung. Aber grundsätzlich wollen wir miteinander arbeiten.

van Almsick: In dieser Zeit ist es möglich, vernünftige Bilder für die Berichterstattung über das Konzert zu machen, und mehr als ein Foto erscheint in der Tageszeitung in der Regel auch nicht. Der Aufenthalt der Fotografen im Fotograben behindert die Sicht der Zuschauer in den ersten Reihen. Außerdem haben die Künstler oft Angst vor einer unkontrollierten Verbreitung. Wenn das ganze Konzert fotografiert wird, kann daraus hinterher beispielsweise ein Buch zusammengestellt werden, oder Fotos tauchen in der Werbung oder auf Flohmärkten auf.

van Almsick: Das ist eine sehr ernstzunehmende Aufgabe, die aber immer nach den selben Regeln abläuft. Deshalb ist sie für uns nicht kompliziert.